PK-4

Apparatur für plasmaphysikalische Experimente


PK-4 launch ISS am 29. Oktober 2014

Hintergrund und wissenschaftliche Ziele:

Komplexe Plasmen treten in der Natur beispielsweise in den Saturnringen auf. Sie können aber auch im Labor erzeugt werden. Sie entstehen, wenn im Plasma neben neutralem Gas auch Staubteilchen enthalten sind. Unter geeigneten Bedingungen - abhängig von Feldstärke, Gasdruck und Partikeldichte - können komplexe Plasmen gasförmige, flüssige oder kristalline Strukturen ausbilden. Diese Entdeckung gelang 1994 und stand im Gegensatz zu der bis dahin geltenden Lehrmeinung vom Plasma als ungeordnetstem Zustand der Materie. Es handelt sich um ein System, in dem Vorgänge wegen der vergleichsweise hohen Partikelmasse langsam und deshalb gut beobachtbar ablaufen. Die Teilchenpositionen können mit einfachen Mikroskop-Techniken verfolgt werden. Untersuchungen physikalischer Vorgänge sind so auf der fundamentalsten Ebene - dem Bewegungslevel (Kinetik) einzelner Staubteilchen - möglich.

Damit sind komplexe Plasmen nicht nur für Astronomen interessant, sondern vor allem ideale Modellsysteme zur Untersuchung von Vorgängen in Materie, bei denen die Staubteilchen Atome oder Moleküle repräsentieren. Unter normaler Schwerkraft können im Wesentlichen nur zweidimensionale Strukturen erzeugt werden. Da die Partikel absinken und das komplexe Plasma in Richtung der Schwerkraft stauchen, ist ein Plasmakristall daher auf nur wenige Gitterebenen begrenzt. Nur unter Schwerelosigkeit können große, homogene 3D-Strukturen ungestört kreiert und erforscht werden. Die Anlage PK-4 ist primär für die Untersuchung fluider Systeme geeignet. Zu folgenden Schwerpunkten soll auf der ISS geforscht werden:

  • Mikroskopische Phänomene: Teilchenladung, Ionenreibung, Partikelkräfte, Agglomeration;
  • Kollektive Phänomene: Untersuchung von selbsterregten/induzierten Wellen (Staubwellen, Staubdichtewellen, Soliton-Wellen, Schockwellen und Machkegel) und Dichteinstabilitäten, Übergang von laminarer zu turbulenter Strömung, Strömung in einer Laval-Düse, elektrorheologische Plasmen;
  • Transporteigenschaften: Scherflüsse, Viskosität, Wärmefluss, Selbstdiffusion, Nanofluidik;
  • Phasenübergänge: Struktureigenschaften von Staubwolken und Grenzflächen, Phasenübergänge unter externen Kräften, Kristallisation unter Druck, Kritischer Punkt, Spalierbildung bei sich durchdringenden Plasmawolken, Relaxation in komplexem Plasma, Thermodynamik von Plasmen beziehungsweise Flüssigkeiten (Zustandsgleichung), Yukawa- und Staub-Cluster;

Experimentbeschreibung:

PK-4 besteht aus der Integrierten Basisplatte (IBP) mit dem eigentlichen Experimentaufbau sowie dem Experimentanlagen Container (EAC). Letzterer wird mit einem Adapter, der die Vakuumventile und die Stromverteilung enthält, im European Physiology Module (EPM) des Columbus-Moduls befestigt. Als weitere Rack-Einschübe gehören zu PK-4 eine Kontroll- und Videomanagementeinheit (CVMU) einschließlich der Datenspeicherung, sowie eine Gasversorgung. Bedient wird die Anlage über den Rack-eigenen Laptop. Das Herzstück besteht aus einer zylindrischen Experiment- Kammer aus Glas mit einem Durchmesser von 30 Millimetern. Die Elektroden, die das Gleichspannungsfeld in der Kammer erzeugen sowie der Gas-Ein- und Auslass mit Staubpartikel können über sechs Zugänge eingebracht werden. Die beobachtbare Zylinderlänge, in der die Experimente ablaufen, beträgt 20 Zentimeter. Zwei Kameras dienen der Partikeldiagnostik, eine Kamera und ein Spektrometer der Plasmadiagnostik.

Die Beleuchtung erfolgt im Lichtschnitt durch einen Laser an der Stirnseite der Kammer. Ist die Experimentkammer geleert und das Vakuum hergestellt, wird sie mit einem der Edelgase gefüllt. Das Plasma wird durch Anlegen einer Spannung gezündet und Partikel werden eingestreut. Durch Variation des Gasdrucks (10-5 Bar bis 1,5 Millibar) und der Stärke des Gleichspannungsfeldes lassen sich die Partikel zu verschiedenen Strukturen anordnen: von ungeordneten "gasförmigen" bis zu "kristallinen". Sechs Partikelgrößen mit Durchmessern von 1,3 bis elf Mikrometer und die Edelgase Argon und Neon sind für die Experimente verfügbar. Darüber hinaus enthält der Experimentaufbau eine weitere Vorrichtung, mit der Partikel in einem bestimmten Kammerbereich eingefangen werden. Die Elektroden lassen sich schnell umpolen. Zwei um die Kammer gelegte Spulen können ein zusätzliches Hochfrequenzfeld einbringen. Ein Heizring erzeugt ein zusätzliches thermisches Feld. Die Manipulation einzelner Teilchen oder Teilchenensembles (Scherflüsse und Schockwellen) kann durch einen weiteren Laser, die Veränderung des Gleichspannungsfeldes, die Bewegung einer Hochfrequenzspule, durch Hochfrequenzpulse oder den Gasfluss erreicht werden. Mit einer weiteren ringförmigen Elektrode kann der Gasstrom wie bei einer Düse zusammengeschnürt werden. Das Spektrum an Variationen der Experimentparameter ist damit riesig.

Status:

Die Anlage PK-4 wird am 29. Oktober 2014 mit einem russischen Progress-Raumschiff zur ISS gebracht. Nach der Inbetriebnahme soll sie für mindestens vier Jahre aktiv sein. Die umfangreichen Bilddaten werden nach den Experimentläufen auf Datenträgern zeitnah zur Auswertung zurückgebracht und an die Wissenschaftler zur Auswertung übergeben.

Ergebnisse:

Während der Entwicklungsphasen von PK-4 entstanden aus vorbereitenden Labor- und Parabelflug-Untersuchungen zur Messung der Teilchenladung und Ionenreibungskräfte, zu Scherflüssen, Strömungen und Phasenübergängen bereits 15 Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften.

Perspektiven für Forschung und Anwendung:

Die erwarteten Resultate - vor allem zu "flüssigen" Zuständen komplexer Plasmen auf atomarer Ebene - sind zunächst für das detaillierte Verständnis komplexer Plasmen selbst wichtig. Für die Physik kondensierter Materie und die Fluidphysik dienen komplexe Plasmen als Modellsysteme. Auch für die Industrie ist die PK-4-Forschung interessant. So könnten die Ergebnisse die Chipherstellung oder die Technik in Fusionsreaktoren verbessern. Darüber hinaus sind wertvolle Erkenntnisse für astrophysikalische Fragestellungen - wie etwa bei der Staubanreicherung im Zuge der Planetenentstehung - zu erwarten.

Start:29. Oktober 2014 / Progress 57P (geplant)
ISS-Zeitraum ab 2015 geplant
Unterbringung European Physiology Module (EPM)-Rack im Columbus-Modul
Experimentator Dr. Hubertus Thomas; Prof. Dr. Markus Thoma; Prof. Dr. Vladimir E. Fortov
Einrichtung DLR-Gruppe in Oberpfaffenhofen; 1. Physikalisches Institut der Universität Gießen; Joint Institute for High Temperatures (JIHT), RAS
Bereich Plasmaphysik
Partner ESA, Roskosmos